Toyota Carina E / 1992 / Unfallschaden am 15.1.1993

Vranovská Ves
– was vor 30 Jahren wirklich geschah …

 

4.00 Uhr früh. Wir schreiben den 15. Jänner 1993. Ein Freitag. Inmitten des niederösterreichischen Mostviertels. Arbeitsbeginn. Es ist kalt. Winter, den es damals noch gab. Einige Handgriffe galt es noch am Bürocomputer zu erledigen. Noch eine Stunde. Abfahrt um 5. Zusammen mit einem Kollegen ging es Richtung Osten, dann hinauf in den Norden. Die Dependance im soeben erst neu gegründeten Tschechien war das erklärte Ziel. Knapp 100 km vor Prag. čáslav. Mein Kollege – nennen wir ihn hier einfach Peter – sollte mit mir fahren. Er war etabliert im Betrieb. Ich vor gut 2 Monaten neu eingestiegen. Es war die Zeit der Öffnung des Ostens. Das Geschäft boomte. Wir waren jung. Bereit. Und gierig. Es war spannend. Jeden Tag neu.

Peter war pünktlich.

Er war die Zuverlässigkeit in Person. Zugleich ein feiner Mensch. Einer, mit dem »jeder konnte«. Kompetent. Am Boden. Einer, mit dem man auch gerne eine 5stündige Autoreise antrat. Es ging los. Alles wie geplant. Noch ahnten wir nicht, welchen Ausgang dieser 15. Jänner nehmen sollte …

Es geht los. Zuverlässigstes, nahezu neuwertiges Gerät in Firmeneigentum. Toyota Carina E. Saugdiesel mit 2 Liter Hubraum und 72 PS. Ausreichend damals. Wir waren viel unterwegs.
Wir strömten Richtung Autobahn. Sodann über Neulengbach und Tulln via Bundesstraße Richtung Norden. Das Gespräch über Berufliches. Vermischt mit Privatem. Erste »Internas«. Wie es so ist, wenn man irgendwo neu dazustößt. Man ist dankbar für wertvolle Tipps. Noch dazu, da ich als »Zuagrasda« (sprich: nicht aus dem näheren Umraum) teils mit hohen Erwartungen, teils mit etwas Misstrauen empfangen wurde.

Kurviges Geläuf. Über das nördliche Niederösterreich bald ins noch ganz neue Tschechien gelangt. Den Tag und die Termine im Fokus. Kurz nach Sonnenaufgang Ankunft in čáslav Kalabousek. Wir wurden erwartet. Mit freundlicher Gesinnung und zumindest auf Augenhöhe.

Die Arbeit begann mit der Durchsicht von unzähligen Katalogtexten, Ergänzungen, Übersetzungen. Man stelle sich das so vor, dass die Alternative zu einem persönlichen Treffen damals quasi nicht bestand. Kein Mail, kein Online-Meeting. Der Postweg dauerte eine Ewigkeit. Das Telefax funktionierte bisweilen – die Erfolgsaussichten hielten sich in Grenzen. Heute unvorstellbar, welche Dramen sich damals vor dieser »Kiste« abspielten.
Nun gut: Zwischendurch wurde mein Gesprächspartner – er war unser Geschäftsführer in Tschechien und ein erfahrener Gartenbauingenieur – oft ans Telefon geholt. Die Organisation im Betrieb war in Aufbau begriffen. Man hätte phasenweise von Chaos sprechen können. Doch in Summe wurde viel bewegt. Es ging voran. Musste auch. Die Auftragslage war phasenweise »außer Kontrolle«.

Zeit für eine Mittagspause. Im besten Restaurant der Umgebung. Schnell hatten sich hier fleißige Leute auf westliche Kunden eingestellt. Essen (fast) wie zu Hause. Zum halben Preis.

Ein erster Durchhänger am frühen Nachmittag. Lieferantengespräche. Volles Programm. Der Abend brach herein und Peter und ich merkten bereits, dass an eine baldige Abreise noch nicht zu denken war. Kurz nach acht dann: es schien vollbracht. Die abzuarbeitenden Punkte nach Möglichkeit erledigt.

Herr P., unser Geschäftsführer, kredenzte uns noch Brote zur Abfahrt. Ein Schnäppschen dazu, welches wir dankend ablehnten. Noch sehr zu unserem Glück, wie sich schon bald herausstellen sollte. Zu guter Letzt noch eine Handvoll tschechischer Gartengeräte in den Liftback verstaut. Rechen, Spaten, eine bunte Auswahl.

20:45 Uhr. Abfahrt. Die Temperaturen am Gefrierpunkt.

Die Straßen soweit frei von Schnee. Stockfinster war es. Selbst Ortsdurchfahrten ohne die bei uns übliche Straßenbeleuchtung. Kaum Verkehr. Ab und an überholte uns ein österreichisches Kennzeichen. »Fremdarbeiter« wie wir. Auf dem Heimweg ins Wochenende. Viele davon waren mutig schnell unterwegs.
Peter öffnete eine Packung Gummibärchen. Die hatten wir uns verdient. Vorsichtige Probebremsungen zwischendurch. Mit Vorwarnung an den Beifahrer. Ohne ABS. Das hatte nur unser Chef im Mercedes. Worauf er mächtig stolz war. Und es uns auch immer wieder einmal demonstrierte, wenn wir ihn auf unseren Reisen begleiten durften. Oder mussten.
Wir also ohne.
Es zog sich hin. Eines war klar. Es würde (sehr) spät werden, bis wir den heimatlichen Hafen erreichen würden.
Es wurde sogar noch ein wenig später …

Die lange Gerade vor Vranovská Ves.

Nicht die Hunaudières. Nicht Les Mans. Und doch. Das Ortsschild. Ein Anbremsen. Ein leichter Rechtsknick. Eis! Das Heck des Toyotas kommt. Der Wagen dreht sich. Fängt sich am Straßengraben. Überschlägt sich. Wie in Zeitlupe. Das Dach in der Mitte eingedrückt. Mit zwei kleinen Ausnehmungen für unsere Köpfe. Im Nachhinein betrachtet ein Glück, das man wahrscheinlich nur einmal im Leben hat.

»Peter?« »Ja«. Alles andere jetzt zweitrangig.

Wir kletterten aus dem Wrack. Schienen bis auf ein paar Kratzer an der Hand unversehrt. Das Firmenauto mit unter 10.000 Kilometern an Laufleistung ein Totalschaden, wie es aussah. Peter hatte seinen Humor nicht verloren und monierte, dass ich ihn dieses Mal nicht vorgewarnt hätte. Ich hingegen war einfach nur froh, dass ihm nichts zugestoßen war.

Wie aus dem Nichts ein Abschleppwagen.
Unser Carina wurde auf die Räder gestellt und auf einen Schotterplatz gebracht. Polizei. Strafe moderat – die Straßenbegrenzung wurde beschädigt. Alkoholkontrolle: Negativ. Nur so ist es gut. Immer! Was auch passiert.
Wie sich bald herausstellte, waren wir an diesem Abend bereits das siebte Auto, dem die Kurve (… unser Chef konnte es sich nicht verkneifen, jene ab sofort als »Prossinger-Kurve« zu titulieren) zum Verhängnis wurde.
Man ist in diesem Moment dankbar für jede Hilfe. Zweisprachige (deutsch – tschechisch) insbesonders. Und um jede Mitfahrgelegenheit. Unvergesslich: Der 4-Liter-Cherokee des Wiener Geschäftsmannes, den wir enterten. Samt Koffern und Gartengeräten. Mit einem »Mitgedacht beim Autokauf« und einem Augenzwinkern ging es los. Flott. Sehr flott in Anbetracht des soeben Erlebten. Doch da mussten wir jetzt durch. Peter vorne am Beifahrersitz. Ich hinten auf der Bank. Vorbei an weiteren Gestrandeten, die »nicht mitgedacht« hatten an jenem eisigen Abend. Ein Gemeindeauto im Graben. Leidensgenossen in einem aktuellen 5er mitten am Feld.
Neulengbach Bahnhof. Hier trennten sich unsere Wege nach diesem ereignisreichen Tag. Doch vorerst noch die Meldung an den Chef. Auch wenn wir sonst nicht immer einer Meinung waren, dieser Moment der Größe – seiner nämlich – bleibt mir für immer in Erinnerung. Mit den Worten »Hauptsache, es ist euch nichts passiert. Firmenauto bekommen wir ein neues« zeigte er uns, was ihm wichtig war. Aus solchen Momenten – auch wenn sich diese keiner wünscht – schöpft man Erfahrung. Für ein Leben lang.

Peter nahm die »Gärtner-Grundausstattung« mit in die Firma. Unvergesslich das Bild, wie wir am nächtlichen Bahnsteig standen.

Und dann: Das Toyota-Wrack fand schnell einen neuen Besitzer. Dieser kontaktierte mich später noch, um nach dem fehlenden Philips-Radio zu fragen. Peters Koffer hatte ein paar Kratzer abbekommen. Und aus meiner linken Hand ließen sich letztlich wahrscheinlich nicht alle Glassplitter restlos entfernen. Wie auch immer. Es blieben keine Schäden. Das Nachfolge-KFZ war der idente Carina Diesel in beige metallic. Am schnellsten verfügbar. Und – gerade auf den Straßen des Ostens – eine »dankbare« Farbe. Er sollte mich noch gut drei Jahre sicher und flott durch Europa bringen. Auch nach Vranovská Ves. Und wieder zurück.

 

 
 
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